Es war an einem wunderschönen Tag im Sommer 1987. Ich machte mich bereit fürs Klettern und Vorsteigen auf einen Gipfel.
Topmotiviert und voll gehängt mit Klettermaterial begann ich zu klettern. Ich legte erste Zwischensicherungen und hängte das Seil ein. Ich kam gut vorwärts.
Plötzlich kam der Stillstand. Ich hing mitten in der Felswand. Die letzte Zwischensicherung war ungefähr ein Meter unter meinen Füssen. Ich traute mich nicht mehr weiter zu klettern.
In meinem Kopf begannen sich Panikgedanken breit zu machen:
Ich fing an, laut um Hilfe zu betteln. Aber wer konnte schon helfen?
Exkurs: Felsklettern
Falls du mit den technischen Aspekten des Felskletterns nicht vertraut bist, gebe ich dir eine kurze Erklärung. Das ist wichtig für das Verständnis der Geschichte.
Es gibt sehr viele Varianten des Kletterns. Ich beziehe mich auf das sogenannte Freiklettern am Fels. Freiklettern bedeutet nicht ohne jegliche Sicherungsmittel wie Seil, Karabiner, Schlingen zu klettern. Nein, es heißt, man klettert frei von technischer Unterstützung wie z.B. Einsatz von Leitern, Stehen auf Haken oder Festhalten an Schlingen. Wenn man frei klettert, nutzt man also ausschließlich den Fels zum Festhalten und Treten.
Beim Freiklettern wird man von einem Partner mit einem Seil gesichert. In gewissen Abständen hängt der Vorsteiger (Kletterer, der voraus klettert) das Seil in Zwischensicherungen ein. Diese können entweder schon vorhanden sein (Ringe, Haken) oder müssen vom Vorsteiger selbst angebracht werden (Schlingen aller Art).
Falls nun der Vorsteiger stürzt, passiert ihm im Idealfall nicht viel. Er „fliegt“ eine kurze Distanz bis ihn die Zwischensicherung auffängt. Natürlich muss sein Kletterpartner den Sturz auch abbremsen.
Soweit die Theorie. In der Praxis weiß man allerdings nie, ob dieser Idealfall auch eintritt. Zu viele Faktoren haben Einfluss auf diesen „Idealfall“: Art der Zwischensicherung (Haken oder Schlinge), "Flugraum" (glatte Wand oder Absätze, Quergang usw.), Höhe. Ein Vorsteiger muss als das Risiko eines Sturzes immer gut kalkulieren und sich mental auf die Kletterroute vorbereiten.
Weitere detaillierte Informationen zum Klettern kannst du hier finden.
Klettern in der Sächsischen Schweiz!
Ich bin leidenschaftliche Felskletterin. Jahrelang war ich in verschiedenensten Gebirgen zum Klettern und Bergsteigen unterwegs.
Zu DDR-Zeiten war die Sächsische Schweiz (auch Elbsandsteingebirge) mein Klettergebirge. Ein faszinierender Fleck Erde. Über 1000 Gipfel in einer wunderschönen und faszinierenden Landschaft.
Allerdings gab es damals und in den Anfängen des Freikletterns keine künstlichen Zwischensicherungen. Keine Ringe oder Haken. Der Kletterer musste sich die Zwischensicherungen mit Schlingen selbst „bauen“. Und je nach „Baukünsten“ und Beschaffenheit des Fels waren diese Zwischensicherungen mehr oder weniger vertrauenswürdig.
Damals galt deshalb beim Klettern: NIE STÜRZEN.
Aufgrund dieses Risikopotentials war das Klettern vor über 40 Jahren vor allem eine Männerdomäne. Die Männer waren die Haudegen, die Kletterhelden. Sie gingen das Risiko ein und bezwangen Gipfel und steile Felswände.
Falls Frauen überhaupt klettern gingen, dann immer in Begleitung von Männern. Die Männer „brachten“ das Seil nach oben und die Frauen stiegen hinterher. Wenn frau dann „abstürzte“, rutschte sie lediglich ins Seil. Ein sehr überschaubares Risiko 🙂 .
Die Gründung von DAMEX!
Bei uns Frauen entstand nun zunehmend der Wunsch nach (klettertechnischer) Unabhängigkeit. Wir wollten nach unseren Wünschen unterwegs sein und nicht immer nur den Männern „hinterher traben und klettern“. Wir wollten eigene Gipfel erstürmen.
So zogen wir 1986 zu dritt los. 3 Frauen ganz allein. Da wir das als äußerst heroisch betrachteten und wir früher all unseren Unternehmungen einen Namen gaben, so nannten wir unser erstes gemeinsames Kletterwochenende: DAMEX (Damen + Expedition).
Es wurde eine beliebte Tradition: Einmal im Jahr zogen wir als Frauen alleine los. Anfangs waren wir zu dritt und später waren bis zu 15 Frauen gemeinsam unterwegs. (Dieses DAMEX gibt es heute immer noch, mehr als 35 Jahren später).
Bei jedem dieser Anlässe mangelte es aber eklatant an Vorsteigerinnen. Maximal zwei oder drei Frauen trauten sich voraus zu klettern. Alle anderen folgten dann am Ende des Seiles eine nach dem anderen - bis auf den Gipfel.
Ich gehörte zu den mutigen Vorsteigerinnen...
Rettung in letzter Sekunde
Da hing ich nun mitten in der Felswand und hielt mich krampfhaft fest. Und wimmerte vor Angst. Innerlich verfluchte ich meinen ewigen Drang etwas beweisen zu müssen.
Das war sie: die immer gefürchtete Situation. Nichts und niemand hatte mich darauf vorbereitet.
Von den unten versammelten Frauen kamen beruhigende Worte: Entspann dich. Du kannst das. Wenn du stürzt, passiert nichts. Du bist gut gesichert.
Das alles half nichts. Ich klammerte an den Felsgriffen und überlegte, wie lang wohl meine Kraft ausreichen würde, bis das Unvermeidliche eintreten würde: der Sturz.
Dann hatte ich in meiner Verzweiflung die rettende Idee. Ich erinnerte mich, dass es auf der Rückseite des Gipfels einen ganz einfachen Kletterweg (fast ein Wanderweg) zum Gipfel gab. Das sollte doch zu machen sein.
Gesagt, getan. Zwei Frauen machten sich mit einem Rettungsseil auf den Weg. Ziel war es, mir das Seil von oben zuzuwerfen. Dieser Hoffnungsschimmer gab mir die unglaubliche Kraft, mich weiterhin am Fels festzukrallen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam das rettende Seil von oben. Ich ließ mir versichern, dass es fest verhängt war und ich zupacken kann. Alles klar. Gerettet.
Was denkst du, was jetzt passierte?
In meinem Kopf verschwand das Sturzszenario. Die Angst verschwand und schlagartig entspannte ich mich. Mit der Entspannung lösten sich auch meine Muskeln. Ich stellte mich besser am Fels und lockerte meine Griffe.
Und plötzlich konnte ich wieder klettern. Ohne Angst und bis zum Gipfel weiter. – Das Rettungsseil natürlich immer in Griffweite neben mir. Aber ich brauchte es nicht. Ich bewältigte die Kletterroute aus eigener Kraft.
Das mentale „Kopfkino“
Es ist ganz offensichtlich, was passiert war.
Mein Kopf blockierte meinen Körper. Meine mentale Schwäche verunmöglichte meinem Körper sich weiter zu bewegen. Meine Gedanken kreisten ausschließlich um den Sturz. Um all die schlimmsten Möglichkeiten, die passieren könnten. Ich fokussierte mich auf die Niederlage und nicht den (Gipfel) Sieg.
Die Moral von der Geschichte:
Fokussiere dich immer auf die Tätigkeit, die du ausführen möchtest. Konzentriere dich auf deine Ziele und auf deine Erfolge. Male dir nicht immer das Schlimmste aus. Ganz im Gegenteil: Stelle dir bereits deinen Erfolg vor. Spüre ihn.
Löse deine negativen Glaubenssätze auf. Wenn du innerlich überzeugt bist, dass du es gar nicht schaffen kannst, wird es auch nicht gelingen. Das fördert nur deine Selbstunsicherheit.
Erfolg beginnt im Kopf.
Selbstverständlich darfst du die Risiken nicht ausblenden. Du musst dir vorher im Klaren sein, was alles passieren kann. Du musst die Risiken kalkulieren.
Wenn du zum Beispiel als Fußgänger eine Straße überquerst, wirst du immer wissen, dass ein Unfall passieren könnte. Aber bei guter Überwachung des Straßenverkehrs, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass du verunfallst. Also wirst du die Straße angstfrei überqueren.
Übertragen auf meinen Kletterweg: Ich bin mitten auf der Straße stehen geblieben, weil ich in weiter Ferne ein Auto gesehen habe. Plötzlich habe ich nur noch an einen Autounfall gedacht und war nicht mehr in der Lage, die Straße fertig zu überqueren.
Mein Fehler war: Bei der ersten kleinen Kletterschwierigkeit habe ich mich auf meinen Sturz fokussiert und nicht auf meinen Erfolg. Ich hatte im Vorfeld die Risiken zwar genau kalkuliert – aber nur die körperlichen und technischen. Hier wurde ich von meiner mentalen Schwäche überrumpelt.
Wenn das Rettungsseil nicht gekommen wäre, wäre ich wohl tatsächlich abgestürzt.
Mentale Weisheit:
"Achtsamkeit bedeutet, dass wir ganz bei unserem Tun verweilen, ohne uns ablenken zu lassen." Dalai Lama
"Richte deinen Fokus auf die Lösung und nicht das Problem." Ghandi
„Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft.“ Marie von Ebner-Eschenbach