Wie ein Brett vorm Kopf mein Leben rettete

Ich erinnere mich noch genau. So als wenn es gestern gewesen wäre...

Es war ein ganz normaler Tag im August 1974. Ich war 12-jährig und in meinem dritten Jahr als Profi-Schwimmerin.

Seit zwei Jahren trainierte ich täglich mehrere Male: Schwimmen, Joggen, Krafttraining. Zwischendurch noch Schule. Unsere Tage starteten am Morgen um 6.00 Uhr und endeten gegen 19.00. Meist fielen wir am frühen Abend vor Erschöpfung ins Bett und schliefen sofort ein.

Auch am Wochenende ging es so weiter: Wettkämpfe, Wettkämpfe, Wettkämpfe. Da ich im Internat lebte, konnte ich deswegen nur selten nach Hause.

Das war der ganz normale Alltag eines Profi-Sportlers in der DDR.

Unsere Trainerin drohnte am Rand des Schwimmbeckens und jagte uns Länge für Länge. Da sie weder didaktische noch zwischenmenschliche Erfahrungen hatte, kam es oft zu absurden Situationen. Ja, unsere Schwimmtrainerin konnte noch nicht einmal selbst schwimmen. Aber das wussten wir damals natürlich nicht. Wir gehorchten einfach und schwammen...

Unsere Trainingsgruppe bestand aus über 20 Mädchen und Jungen. Einige schwammen sehr schnell und gewannen bereits Medaillien. Andere waren noch sehr langsam, da sie das Schwimmen erst später erlernt hatten.

Ich gehörte zu den Langsamen.

Da wir immer alle das gleiche Trainingspensum bewältigen mussten, war ich immer eine der Letzten. Alle hatten das Wasser schon verlassen, nur ich schwamm noch einsam die letzten Bahnen. Somit war ich auch immer die Letzte beim Duschen, beim Anziehen, beim Mittagessen. Mein Leben bestand so nur aus Hetzerei.

Und aus Schummeln. Um nicht allzu sehr den Anschluss zu verpassen, kürzte ich die Längen im Schwimmbecken oft ab. Wenn meine Trainerin nicht schaute, schwamm ich die Bahn nicht zu Ende, sondern kehrte vorher um. So sparte ich wertvolle Sekunden.

In den Schulferien zwischen dem 2. und 3. Profijahr hatte ich leuchtende Träume. Ich wollte ein besserer Mensch werden…

Kein Schummeln mehr. Ich nahm mir fest vor, so hart und intensiv zu trainieren, wie nur möglich. Nur noch ein ehrliches und gutes Training.

Dann kam der erste Trainingstag nach den Ferien, der besagte Tag im August 1974.

Wie immer trainierten wir alle das gleiche Pensum. Da ich ja nun nicht mehr schummelte und ehrlich trainierte, war der Abstand zu den anderen grösser als sonst. Dummerweise war ich ja über Nacht (Urlaub) leistungsmäßig nicht besser geworden.

Alle anderen hatten das Schwimmbecken bereits verlassen. Nur ich drehte voller Elan und top motiviert noch meine letzten Runden. Und dann passierte es.

Ich spürte einen harten Schlag an meinem Kopf. Völlig erschrocken stoppte ich und hob meinen Kopf aus dem Wasser. Da lag das Brett vor mir, welches gegen meinen Kopf gerumst war. Meine Trainerin hatte es mit voller Wucht geworfen. 

Sie stand mit wutverzerrten Gesicht am Beckenrand und schrie: "Raus aus dem Wasser du lahme Ente! Geh duschen und zieh dich an!"

Kannst du dir vorstellen, was in diesem Moment mit mir passierte?

Richtig. Beim nächsten Training schummelte ich wieder und kürzte die Bahnen ab. Ich fiel in meinen alten Trott zurück und trainierte völlig motivationslos. Logisch, dass meine Leistungen nie entscheidend besser wurden. Auch hatte ich praktisch keine Lebensfreude mehr

Nach 3 Jahren war meine Profi-Schwimmkarriere beendet. Man bescheinigte mir zu wenig Talent und die Unfähigkeit, meinen inneren Schweinehund zu überwinden.

Ich hatte versagt. (Mein negativer Glaubenssatz)

Ja und wieso hat dieses Brett nun mein Leben gerettet?

Erst viele Jahre später, musste ich lernen, dass wir jungen Sportler in der DDR intensiv gedopt wurden. Tatsache war, dass wir regelmäßig Tabletten erhalten hatten. Damals hieß es: Vitamintabletten. Und niemand zweifelte daran. Vor allem nicht wir Kinder.

Die guten Schwimmer und Schwimmerinnen unter uns erkannte man damals daran, dass sie täglich zwischen 10 und 20 „Vitamintabletten“ erhielten. Bei mir waren es nur 2-3. Hätte ich weiter trainiert, wäre auch ich mit diesen Anabolika vollgestopft worden.

Mir sind einige Fälle von Leistungssportlern aus dem Ostblock bekannt, bei denen im späteren Leben massive gesundheitliche Probleme aufgetreten sind. Sogar Todesfälle hat es gegeben.

Das Brett meiner Trainerin hat mich also vor Schlimmeren bewahrt. Es hat mir mein Leben gerettet und dafür bin ich dankbar.

Die Moral von der Geschichte:

Damals erkannte ich nicht, dass dieses Brett für mein weiteres Leben ein Glücksfall war. Ganz im Gegenteil. Dieses Brett hatte meinem Selbstbewusstsein einen starken Schaden zugefügt.

Aber ohne dieses Brett wäre ich vermutlich schon nicht mehr auf dieser Welt. Ich wäre durch das Doping gesundheitlich kaputt gemacht worden. Und wie meine damals instabile Psyche darauf reagiert hätte, lässt sich nur erahnen.

Deshalb verurteile nie eine Situation, bei der du denkst, sie ist nur negativ.

Mentale Weisheit:

Lerne aus jeder Situation und erkenne das Positive daran. Das wird dich für dein weiteres Leben mental stärken.

ÜBER dIE AutorIN

Grit Schönherr ist Gründerin und Hauptautorin von 365mentalfit. Sie ist Coach für mentale Gesundheit und ausgebildete Mentaltrainerin. Grit ist überzeugt, dass Glück und Erfolg im Kopf beginnen. Sie hilft anderen Menschen zu mehr mentaler Stärke, damit sie ihren Alltag gelassen meistern und ihre Ziele effizient erreichen können.
Mehr über Grit erfährst du hier.

  • Ach Grit, mir kamen grad die Tränen. Gerade der letzte Satz von dir, hatte dies ausgelöst.
    „Deshalb verurteile nie eine Situation, bei der du denkst, sie ist nur negativ.“ Ich wurde damals in meiner Ausbildung ganz stark gemobbt und ich habe so massive psychische Probleme dadurch bekommen, dass ich da tatsächlich nichts positives sehe. Es ist mittlerweile 13 Jahre her. Die Wunden und Narben sind immer noch da…

    Aber ja, manche Situationen retten einem wirklich das Leben, aber in mein Fall, ich weiß nicht.

    Es ist aber sehr schön, dass du eher Stärke / Positives aus allen rausziehst. Das finde ich echt toll.

    Liebe Grüße, Anja

    • Liebe Anja
      Es freut mich sehr, dass dich meine Satz, emotional so berührt hat. Und ja wirklich, ich bin wirklich sehr überzeugt davon. Natürlich ist es nicht immer einfach, das Positive zu finden und vielleicht musst du es auch erst erkennen… Mobbing ist sehr, sehr schwierig. Ich habe das in meinem Leben auch schon erlebt. Und war dem hilflos ausgeliefert. Heute würde mir das vermutlich nicht mehr passieren. Aber auch hier denke ich, aufgrund dieser Mobbingerfahrung bin ich stärker geworden. Ich meine, das schreibe ich jetzt hier so einfach. In der Mobbingzeit habe ich mich hundselend gefühlt.
      Das du noch Wunden hast, ist nicht so gut. Narben hingegen gehören dazu. Diese machen deine Persönlichkeit aus.
      Ich wünsche dir auf jeden Fall ganz viel Kraft.
      liebe Grüße, Grit

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